Kaufen, konsumieren, Macht über Dinge haben, dazugehören. Aber wird das Prinzip des ewigen Zuwachses, auf dem das Kreislaufmodell unserer Wirtschaft beruht, auf Dauer zu halten sein?
Die Erinnerung verziert das Erinnerte gern mit goldenen Borten. Meine beiden Großmütter konnten sehr gut nähen, stricken, flicken und stopfen, und doch stehen sie, denke ich zurück, scharf umrissen und schmucklos vor mir. Beide waren geprägt von armer Herkunft, von Krieg, Wirtschaftskrise und Geldentwertung. Ihr Einkaufsverhalten war diktiert von strikter Ökonomie: Gekauft wurde nur, was unbedingt gebraucht wurde. Beide hatten nicht gelernt, was, in modernem Sinn, konsumieren heißt. Gegen die damals zugegebenermaßen noch nicht sehr entwickelte Werbung waren sie vollkommen immun.
Konsumieren im heutigen Sinn bedeutet ja nicht nur Bedürfnisse zu befriedigen, Dinge werden auch deshalb gekauft und angeschafft, weil einem das ein gutes Gefühl gibt. Wo kommt dieses Gefühl denn her? Man kann sich dies oder jenes leisten, hat also Macht über Dinge. Oft sind diese Dinge Symbole, ihr Besitz bedeutet zugleich, dass man da oder dort dazugehört – zu einer bestimmten Clique, Gruppe oder Schicht. Der Besitz gewisser Dinge schafft einfach Identität, erhöht das Selbstwertgefühl. Je entfremdeter die Menschen von sich sind, desto lustiger wird einkaufen.
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Mit dem Scientismus des 16. Jahrhunderts – Bacon bringt ihn auf die schlüssige Formel: “Wissen ist Macht” – hat unsere Zivilisation die Generalrichtung eingeschlagen, die wir, von etlichen Ausreißern und Umwegen abgesehen, bis heute verfolgen. Beobachtung, Untersuchung, Experiment, kombiniert mit dem induktiven Sinn, der das Erreichte über Thesenbildung ständig ins (noch) Unerreichte auszuweiten und zu übersteigen sucht, haben uns dorthin gebracht, wo wir heute sind. Maßstab aller Dinge ist eine ergebnisorientierte Vernünftigkeit, der, zum Ausgleich, möchte man fast sagen, eine Welt voller Versprechungen gegenübersteht, voller Träume und Luftschlösser, für die man bloß noch den Schlüssel braucht, Geld.
Historischer Überblick: Der Vollständigkeit halber sei die Gegenströmung, die im 19. Jahrhundert mit Dostojewskij, Schopenhauer und Nietzsche aufflackerte, erwähnt, Leute, die von der Vernunft nicht gar so viel hielten, dem unvernünftigen Wollen seinen gewichtigen Platz einräumten. Der Verlauf der Geschichte im 20. Jahrhundert gab ihnen nicht ganz unrecht, wenn auch meist in Form von Katastrophen.
Die zweite große Kraft, die unsere Gegenwart bestimmt und gestaltet, sind die Ideen der Französischen Revolution. Man mag ja darüber streiten, ob der Wohlfahrtsstaat, wie wir ihn jetzt kennen, letztlich Ausfluss christlicher Barmherzigkeitsideale oder doch eher Produkt sozialrevolutionärer Ideen ist: fest steht, dass wir heute ohne die Schubkraft der Französischen Revolution nicht dort stehen würden, wo wir halten oder, besser, treiben, und das meint insbesondere die Vorstellung von der Gleichheit aller Menschen. Erst das Idealbild der Gleichheit schafft die Voraussetzung für den totalen Markt. Nun ist jeder angesprochen und ansprechbar. Erst dadurch wird die Grundlage für ein Vehikel geschaffen, das ungefähr so funktioniert: Weil du Arbeit hast (oder zumindest Mindestsicherung), verfügst du über Geld, das du auf dem Markt ausgeben kannst, für Waren, die – ob du sie nun brauchst oder nicht – produziert werden müssen, damit du (und deinesgleichen) Arbeit haben.
Natürlich ist der totale Markt hierarchisiert – wie ja auch die Verteilung der Vermögen, des Geldes, eine ungleiche ist. Über die Diversifizierung des Marktes, Spiegelbild der Ungleichheit, wird der totale Markt effektiv. Das ist der Trick: Der Markt kann sich unendlich ausfalten, kann sich an jede Form und Nische der sozialen Plastik anschmiegen: Ungleichheit – bei gleichzeitiger Proklamation von Gleichheit – erzeugt Dynamik und den Raum für Wünsche: Irgendwann, ja, irgendwann werden alle alles konsumieren können, der eschatologische Moment der Erfüllung wird kommen, die im Materiellen sich einlösende Parusie.
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Das Kreislaufmodell Arbeit – Ware – Markt – Konsum – Arbeit wird eben erst durch Ungleichheit so richtig dynamisch. Schmiermittel des Ablaufs ist die Werbung, die sich über die elektronischen Medien perfektioniert. Nun ist sie, erlöst von der Anonymität der Straße, in unsere Wohn- und Schlafzimmer vorgedrungen, über Handy und Internet sind wir auch im Regenwald, auf der Spitze des Everest oder tausend Meter unter dem Meer noch erreichbar.
Höre ich von der Auflösung, ja, von der Auslöschung des Subjekts im Spätkapitalismus reden, finde ich das tendenziell zutreffend – doch der Ton, in dem das meist vorgetragen wird, gefällt mir nicht. Subjektverlust – beinah kommt das chic herüber, als Beweis des Modern-Seins, und ist doch nur affirmativ. Räumen wir ein, dass die Bewusstseinsinhalte – eben die durch die Köpfe durchströmende Information (was man früher Welt genannt hätte) – zunehmender Standardisierung durch Markt, Medien und Werbung unterliegen, bleibt doch immer der Modus der Verarbeitung als das je Eigene. Dort, in der Art und Weise, wie ich fühle, denke, erinnere und handle, bleibt doch immer noch etwas, das würdig ist, Ich genannt zu werden. Freilich ist die Wissenschaft, die Wissenschaftsreligion, möchte ich sagen, dabei, auch die Modi noch in den Griff zu bekommen – also: Fühlen, Denken, Erinnern etc. als neurale Vorgänge erst zu erforschen und technisch manipulierbar zu machen. Die “soft sciences”, die sogenannten Geisteswissenschaften, degenerieren zugleich in Richtung eines gehobenen, zahnlosen Feuilletonismus, der Satz von Hobbes vom Denken als Rechnen – jetzt ist er dabei, tatsächlich wahr zu werden.
Bei Pascal etwa heißt es noch: “Die Rechenmaschine zeigt Wirkungen, die dem Denken näher kommen als alles, was Tiere vollbringen; aber keine, von denen man sagen muss, dass sie Willen habe wie die Tiere.” – Ach, wenn man doch wissen könnte, wie Wollen funktioniert! Man könnte es simulieren! (Wie lang ist das her – mit Pascal.)
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Hätten die Menschen einen Planeten von, sagen wir, zehnfacher Größe zur Verfügung, könnte, was gern als friedlicher Konsumerismus propagiert wird, sich wohl noch weiter ausbreiten und florieren. (Das Friedliche an Markt und Konsum, im Übrigen ist das Schimäre. Die Ausbeutung funktioniert nun nicht mehr – zumindest nicht ganz offensichtlich – über militärische Macht und Eroberung von Territorien, sie funktioniert über Deutungsmacht: Wer ein geglücktes Leben über Besitz und Konsum definiert und erreichen kann, dass die Große Zahl darüber verfügt, hat sie.)
Leider ist die Erde zu klein, sie kann, rein stofflich, die Voraussetzungen für eine flächendeckende Installierung des totalen Marktes nicht bieten. Erfindergeist, gepaart mit der Entschlossenheit, dem Funktionieren des Marktes alles andere unterzuordnen, kann freilich das absehbare Ende hinauszögern. Ich will mich hier nicht groß aufhalten bei vom Fracking verwüsteten Landstrichen, bei vergifteten Flüssen, mit Windrädern und Hochspannungsleitungen vollgestellten Gegenden, bei Bauern, die irgendwo in Indien, in China einfach enteignet und abgesiedelt werden, wenn unter ihren Feldern Bodenschätze liegen, bei Atomkatastrophen et al. – Das Modell der ewigen Zuwächse: Wer glaubt denn noch daran?
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Friedliche (besser: scheinfriedliche) Gesellschaften sind basiert auf Bedürfnisbefriedigung und Aufschwung. Zwischen Krieg und Wiederaufbau arbeitet sich das ab, weil die aus welchen Gründen auch immer zu kurz Gekommenen ihren Anteil reklamieren. Das “Noch nicht” schenkt eben die Perspektive. Die sogenannte Natur stellt das Spielmaterial bei.
Frieden über Konsum zu erkaufen ist eingeführte Praxis. Für gewöhnlich kommt es zum Krach, wenn die grundlegenden Bedürfnisse der Großen Zahl nicht abgedeckt werden können bzw. wenn die Große Zahl sich vor die Aussicht gestellt sieht, auch durch noch so harte Arbeit am Status nichts ändern zu können. Kaufe jetzt – zahle später: ein Ausweg, der auch einmal an sein Ende kommt, wie wir wissen. Leben auf Pump: Unser größter Gläubiger ist einerseits die natürliche Ressource, und dann, was die G-8 angeht, sind es die Völker der Schwellen- und Entwicklungsländer, doch auch dort beginnt sich das Zeitfenster zu schließen: Man hat schließlich lang genug zugeschaut und gelernt.
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Zirkuläre Käfige: 1.) Arbeit schafft Güter, die als Waren konsumiert werden müssen, damit wieder Arbeit geschaffen wird und damit Konsum ermöglicht. An welcher Stelle soll nun der Ausbruch erfolgen? Weniger Waren heißt weniger Konsum und also Unfrieden. Weniger Konsum heißt weniger Arbeit und also auch Unfrieden.
Es ist leicht einzusehen: Hat man sich einmal in eine solche Zwickmühle manövriert, wird man versuchen – was sollte man sonst auch tun? -, einfach weiterzumachen wie bisher. 2.) Entfremdetes Leben wird sinnhaft im Traumland des Konsums, der mit entfremdeter Arbeit erkauft werden muss. Wer einmal das eigene Leben aufgab, sein Glück im Fremd-Sein erfuhr, wie sollte der zurückwollen in einen Status, der ihm, vorbuchstabiert von Werbung, Medien und schließlich auch von sich selbst, nur als Abstieg vorkommen kann?
Zusätzliches Problemfeld: Unser Kalkül basiert auf der Unerschöpflichkeit der Ressourcen. Aber das sind sie nicht. Zuletzt hilft alles Rechnen nichts. Weiß Gott, wie das noch ausgehen wird! Vielleicht erkämpfen wir uns doch eine schöne neue Welt (nach Huxley)? Vielleicht reicht’s aber doch nicht? Bei der Annahme wäre es klug und geboten, die Perspektiven und Zielbilder zu verändern. The wrong message at the wrong time? (Place does not count anymore.) Wir, d. h. die Menschen, müssen uns neu erfinden, müssen uns neu aufstellen, das neu Verfasste lernen und sozial üben.
Unsere Art ist durchaus dazu imstande, wie die Geschichte zeigt. Schwierigkeiten der Umstellung, des persönlich wie gesellschaftlich notwendigen Umbaus sollten uns da nicht schrecken, hätten wir doch ein Ziel. Einmal geht’s noch – unter dieser Devise sind wir, angeleitet von den Eliten, vielleicht schon zu oft angetreten. Es ist wie mit einer Schraube, die man immer mehr anzieht: Irgendwann ist sie abgedreht. Machen wir einfach weiter, wird die Tragödie zur Travestie – mit echten Opfern allerdings. Ein Kasperltheater der Grausamkeit. Selten so gelacht!
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zitiert :: Zum dritten Mal
kostnixladen & reparaturnetzwerk
Hallo Leute,
habe gerade das flow [1] gelesen, welches heute dem derStandard beigelegt war. Dabei bin ich auf einen kleinen Bericht über folgende Projekte gestossen, die sich die Frage stellen “Warum wegwerfen, was andere noch brauchen können?“:
www.umsonstladen.at
www.reparaturnetzwerk.at
Ich glaube, ich muss da mal vorbeischauen …
Kennen Sie die Weltformel?
Hallo Leute,
im “The Red Bulletin” vom Mai 2012 habe ich einen grenzgenialen Artikel gefunden. Ihr könnt hier [1] leider nur den Anfang online sehen. Kurz zusammengefasst geht es um die Arbeit von CERN-Mitarbeitern bezüglich des Higgs-Bosons. Den letzten Teil des Artikels macht das Interview mit Prof. John Ellis, der zur Zeit die theortische Physik am CERN leitet. Dabei haben die Autoren ihn gebeten, 4000 Jahre theoretische Physik in einer Zeichnung zusammenzufassen …
Nach zwei Minuten war er fertig. Standardmodell (SM) und Relativitätstheorie (GR = General Relativity) funktionieren demnach gut. Neutrinos (v) hingegen bereiten Physikern Kopfzerbrechen, da sie sich nur bedingt durch die Quantenmechanik (QM) beschreiben lassen. Fragezeichen stehen außerdem hinter String-Theorie (String?) und Dunkler Materie (DM). Eine Weltformel (Theory of Everything = TOE) müsste sämtliche Probleme lösen können.
War sehr amüsant der Artikel 😉
Arthur Schopenhauer
Lesen heißt,mit einem fremden Kopf statt dem eigenen zu denken.
Man gebrauche gewöhnliche Worte und sage ungewöhnliche Dinge.
Nichts ist schwerer, als bedeutende Gedanken so auszudrücken, daß jeder sie verstehen muß.
Zum Denken sind wenige Menschen geneigt, obwohl alle zum Rechthaben.
Are you banging your head?
“What happens when you read some doc and either it does not answer your question or is demonstrably wrong? In Linux, you say “Linux sucks” and go read the code. In Windows/Oracle/etc you say “Windows sucks” and start banging your head against the wall.” – Denis Vlasenko
What’s new in C++ 11?
Yesterday, InfoWorld published a interview with Bjarne Stroustrup about the new stuff in C++ 11. He mentioned for example multithreading, lock-free concurrency, improvements in returning large data structures and the range-for loop. The following two questions were also very interesting …
InfoWorld: How does C++ compare to languages like Java, C#, or the dynamic scripting languages that are proliferating lately?
Stroustrup: I can’t do a detailed comparison, but C++ is more flexible (for good and bad) and tends to perform significantly better, assuming competent developers in all languages compared. The other languages tend to have massive standard libraries. For C++, the standard library is relatively small, and a developer is faced with the problem of choosing among a host of commercial and open source libraries when going beyond that.
InfoWorld: At Microsoft’s GoingNative 2012 conference recently, you emphasized native programming, saying, “Something has to talk to hardware,” and not everything can be a virtual machine. When should a developer opt for native programming, and when should a developer opt for a virtual machine-based language?
Stroustrup: Actually, it was Microsoft that emphasized “native” programming and chose the title, but that’s the kind of implementation techniques I’ve relied on for decades. C++ has significant strengths compared to “virtual machine-based languages” when it comes to building infrastructure. In other words, where performance, reliability, resources, and complexity need to be tightly controlled.
For example, you wouldn’t write a JavaScript engine in JavaScript, and you probably wouldn’t write a “first to market” simple Web app in C++. You would write the foundations of a Google, an Amazon, a Facebook, or an Amadeus (airline ticketing) in C++, but maybe not the rapidly changing top layers of such systems.
You can read the full article here [1]. If you don’t know who Bjarne Stroustrup is, there is his site [2]. And if you want a argument why C++ is not dead, here we go [3].
Have fun at reading the article!
[1] http://www.infoworld.com/d/application-development/stroustrup-reveals-whats-new-in-c-11-187051
[2] http://www2.research.att.com/~bs/
[3] http://www.tiobe.com/index.php/content/paperinfo/tpci/index.html
deep c
sorry guys for spamming today,
but “hacker news” got a really interesting link to slideshare [1]. what will you find there? here is the summary of 445 pages 😉
• compiler and linker
• declaration vs definition
• activation frame
• memory segments
• memory alignment
• sequence points
• evaluation order
• undefined vs unspecified
• optimization
• something about C++
• proper initialization of objects
• object lifetimes
• vtables
• rule of 3
• … and something about attitude and professionalism
don’t be afraid … there are not 445*80 lines of dry lecture on those slides. you will find jokes and humor – but the wisdom won’t come too short, believe me!
dark matters
Dark Matters from PHD Comics on Vimeo.
why to know c and to be old-school
hey folks,
there is a wonderful post describing why to know the basics … and how it provides you a really great advantage! i often try to explain it to my students and only a handful of them realise it!
so, enjoy it … http://www.codelord.net/2011/02/22/you-owe-it-to-yourself-to-be-old-school/
for example, a really good question is:
Learn C and some systems programming and you have the ability to grasp basics of most tools you use. How can you spot and truly understand memory leaks without having to manage memory allocation by yourself?
and don’t forget the security issues:
And the reasons just go on and on. Reading important functions from the Linux kernel will help you understand why Java suddenly won’t fork child processes. Knowing how known security issues work (injections, buffer overflows, etc.) is the only way for you to catch security mistakes at the drawing-on-the-board stage and not at the shit-the-DB-is-stolen stage.
and those provided links are mandatory:
Do yourself good – read K&R
for some C understanding. Read the first chapters of TCP/IP Illustrated
. Read Linux Kernel Development (3rd Edition)
for a nice walk-through of the interesting parts. This knowledge won’t get obsolete anytime soon. Can you say that about your favorite framework?
thanks for all the fish!